Fan Ho - Warum gilt er als einer der besten Streetfotografen aller Zeiten?

 

Wer sich auch nur ein klein wenig mit Streetfotografie beschäftigt, der wird über den Namen “Fan Ho” stolpern. Viele der heutigen Streetfotografen nennen ihn als Vorbild, wodurch er als einer der alten großen Meister der Streetfotografie gilt.

Aber ich bin ehrlich. Abseits von seinem Namen und einigen Fotos kenne und weiß ich eigentlich nichts über Fan Ho. Daher ist hier eine Zusammenfassung meiner Recherche, wer Fan Ho als Fotograf und Mensch war und welche Aspekte seine arbeit bewegt haben.

 

Wer genau ist Fan Ho? - Ein erster Überblick

Fan Ho war ein chinesischer Fotograf, Regisseur und Schauspieler, der vor allem für seine poetischen, kontrastreichen Schwarzweiß-Fotografien des städtischen Lebens in Hongkong der 1950er- und 60er-Jahre bekannt wurde. Seine Arbeiten gelten heute als Klassiker der Street- und Fine-Art-Fotografie.

Herkunft

  • Nationalität: Chinesisch

  • Herkunftsort: Geboren wurde Fan Ho 1931 in Shanghai, China. In den 1940er Jahren flüchteten seine Eltern jedoch infolge von Konflikten aus Shanghai nach Macau. Fan Ho blieb zunächst alleine in Shanghai zurück, bis er sich im Alter von ca. 10 Jahren entschied davonzulaufen und sein Glück in Hong Kong suchte.

  • Sterbedatum: Fan Ho starb im Jahr 2016 in San Jose, Kalifornien, USA.

Fotografische Entwicklung

  • Einstieg in die Fotografie:
    Fan Ho begann schon im Jugendalter mit der Fotografie und nutzte anfangs die Rolleiflex-Kamera seines Vaters. Er war weitgehend Autodidakt und entwickelte seine Bilder selbst. Bereits als Teenager gewann er Fotowettbewerbe, was ihn darin bestärkte, seinen eigenen Stil zu verfolgen.

  • Stil und Technik:
    Fan Hos Stil ist geprägt von starken Hell-Dunkel-Kontrasten (Chiaroscuro), dramatischem Licht und geometrischer Komposition. Er kombinierte den dokumentarischen Charakter der Streetfotografie mit einem fast filmischen Gespür für Atmosphäre und Symbolik.
    Besonders bekannt wurde er für seine Darstellung von Einsamkeit und Stille im hektischen urbanen Umfeld. Menschen in seinen Bildern wirken meist klein, isoliert oder durch Licht und Schatten inszeniert – fast wie in einem Theaterstück.

    Seine Arbeiten weisen Einflüsse aus dem chinesischen Kino, der klassischen Malerei und dem westlichen Modernismus auf. Häufig verglich man seinen fotografischen Stil mit dem von Henri Cartier-Bresson oder André Kertész, wobei Fan Hos Arbeiten zugleich eine sehr eigene, asiatisch-poetische Handschrift tragen.

  • Projekte und Ausstellungen:
    Fan Ho gewann über 280 internationale Preise für seine Fotografien, darunter bei renommierten Wettbewerben in Europa, den USA und Asien. Seine Arbeiten wurden weltweit ausgestellt und sind heute Teil vieler privater und öffentlicher Sammlungen.

    Neben seiner fotografischen Karriere war er auch als Regisseur von mehr als 20 Spielfilmen aktiv. Sein fotografisches Werk wurde in mehreren Bildbänden veröffentlicht, darunter "Hong Kong Yesterday", "The Living Theatre", "Fan Ho: A Hong Kong Memoir" und "Portrait of Hong Kong".

Little Woman - 1961 - Fan Ho

 

“Die Streetfotografie hat mich ausgewählt”

Fan Ho ist nur über Umwege zur Streetfotografie gekommen. Dadurch hat er auch das Zitat geprägt:

“I did not choose Street Photography. In reality, street photography chose me…” oder auf Deutsch übersetzt: “Ich habe mir die Streetfotografie nicht ausgesucht. Sie hat mich ausgesucht.”

Fan Ho wollte nämlich eigentlich gar kein Fotograf werden. Sein Herz hing an den Worten. Er war ein absoluter Überflieger, wenn’s ums Schreiben ging. In der Schule nannte man ihn „The Great Scholar“, und das nicht aus Spaß. Fan Ho war absoluter Musterschüler. Sein Traum war es, Autor zu werden. Bücher schreiben, Menschen mit Worten berühren, das war sein Ding.

Aber dann wurde ihm ein großer Stein vor die Füße geworfen: Migräne. Und zwar nicht so ein bisschen Kopfweh, sondern richtig übel. Lesen ging nicht mehr, Schreiben auch nicht. Alles, was er geliebt hatte, wurde zur Qual. Die Ärzte? Ratlos.

Die Lösung? Raus an die frische Luft. Einfach nur spazieren. Tag für Tag. Klingt langweilig? Fand er auch. Deshalb hat er irgendwann einfach eine Kamera mitgenommen.

Fan Hos ersten Fotos waren daher eher einfache Schnappschüsse – ohne Plan, ohne Technik, einfach aus dem Bauch raus. Aber plötzlich war da wieder dieses Gefühl: Geschichten erzählen, nur eben ohne Worte.

Seine Fotos? Wurden gesehen. Wurden teilweise sogar gefeiert. Bereits als Teenager schaffte er es Preise zu gewinnen. Und über diesen Weg ist Fan Ho schließlich zur Streetfotografie gekommen.

 

War Fan Ho ein Pionier in der Streetfotografie?

Fan Ho gilt heute als eine Ikone der Streetfotografie. Viele Fotografen schauen zu ihm auf, weil seine Bilder eine besondere Stimmung einfangen, die nicht viele so hinbekommen. Aber war er wirklich ein Pionier? Hat er die Streetfotografie neu erfunden? Die Antwort darauf ist gar nicht so einfach.

Fan Ho hat in den 1950er- und 60er-Jahren fotografiert, also in einer Zeit, in der die Fotografie technisch noch ganz anders aussah. Trotzdem war er kein Technik-Freak. Er hat meistens mit einer Rolleiflex fotografiert, einer Kamera mit quadratischem Bildformat. Diese Form hat er geliebt. Sie hat seinen Stil geprägt.

Zwar hatte er auch mal eine Leica in der Hand, aber so selten, dass er sich später nicht mal mehr an das Modell erinnern konnte. Es ging ihm also nie um die beste Ausrüstung – sondern um das Gefühl im Bild.

Seine Fotos werden häufig mit kleine Szenen aus einem Film verglichen. Viel Schatten, viel Licht, viel Atmosphäre. Menschen im Alltag, eingefangen in einem Moment, der größer wirkt als er ist.

Das hat er besonders gut gekonnt. Und das ist vielleicht auch das, was ihn zu einem Pionier macht: Er hat der Streetfotografie eine eigene Seele gegeben. Nicht durch Technik, sondern durch Gefühl.

Ein Beispiel dafür ist seine Lieblingsaufnahme. Auf den ersten Blick sieht man nur einen Mann mit Lastenrad, im Hintergrund alte Hafengebäude an einem Pier. Nichts Besonderes, könnte man denken. Aber für Fan Ho steckte viel mehr dahinter.

As Evening Hurries By – 1954 - Fan Ho

Er hatte ein chinesisches Gedicht gelesen, das ihn tief berührte. Und er wollte genau dieses Gefühl in einem Foto einfangen. Also hat er lange nach dem passenden Ort gesucht, ist immer wieder dorthin zurückgekehrt – bis alles gestimmt hat. Erst dann hat er den Auslöser gedrückt.

Das zeigt, wie viel Planung und Herzblut in seinen Bildern steckte. Und auch, wie wichtig die Geschichte hinter einem Bild sein kann. Du als Betrachter siehst vielleicht nur ein schönes Foto. Aber für den Fotografen kann es ein ganz persönlicher Moment sein, ein Stück von sich selbst.

War Fan Ho also ein Pionier? Vielleicht nicht im technischen Sinn. Aber er hat gezeigt, wie tief ein Foto sein kann. Wie viel Gefühl darin stecken kann. Und genau das macht ihn für viele unvergesslich.

 

Wie Fan Ho Stimmung erzeugt

Fan Hos Fotos wirken wie gemalt. Sie haben etwas Magisches, das dich direkt in eine andere Zeit versetzt. Die Straßen sind häufig in Nebel getaucht, das Licht fällt weich durch die Gassen, und die Schatten zeichnen klare Linien in das Bild. Er schafft es, dass du die Stimmung fast spürst – als würdest du selbst in dieser Straße stehen und den Moment einfangen.

Sein Geheimnis? Er hat nicht einfach drauflos fotografiert. Er hatte ein Bild im Kopf, bevor er den Auslöser drückte. Er sagte selbst, dass er ausdrückte, was er in diesem Moment fühlte – eine Art Sehnsucht nach Vergangenem.

Das ist es, was seine Bilder so besonders macht. Sie sind nicht nur schön anzusehen, sie erzählen etwas. Sie wecken Gefühle in dir, ohne dass Worte nötig sind.

Seine Ausbildung als Filmmacher half ihm dabei. Er hat nämlich nicht nur fotografiert, sondern auch an mehrere Filmen als Regisseur und Schauspieler mitgewirkt. Er verstand, wie Licht und Schatten wirken, wie man einen Ausschnitt wählt, der Spannung erzeugt.

Was ihn aber wirklich auszeichnete, war seine Geduld. Er suchte sich Orte aus und kehrte immer wieder zu ihnen zurück – manchmal über Jahre hinweg. Er wartete, bis alles stimmte: das Licht, die Menschen, der Moment.

Zwei seiner berühmten Aufnahmen entstanden im Abstand eines Jahres, und doch wirken sie, als wären sie am selben Tag gemacht. Das zeigt, wie sehr er seine Plätze studierte, bis sie ihm genau das gaben, was er suchte.

People crossing – 1957 - Fan Ho

Different Directions – 1958 - Fan Ho

 

Eine spannende Entdeckung

Eine der spannendsten Entdeckungen bei meiner Recherche war die Information, dass Fan Ho einige seiner Fotos inszeniert hat.

Ein Beispiel dafür ist die Aufnahme, die er "Approaching Shadow" genannt hat. Wir sehen hier eine schöne Trennung von Licht und Schatten – mit der Frau am Ende der Linie und am unteren Bildrand, fast schon als Silhouette dargestellt.

The Approaching Shadow - 1954 - Fan Ho

Viele von uns verbinden Streetfotografie jedoch mit authentischen, ungestellten Szenen. Die Frau in diesem Foto ist allerdings Fan Hos Cousine, die er extra für dieses Foto dort posieren ließ.

Wird das Foto dadurch in seiner Qualität schlechter? Definitiv nicht. Die Person gibt dem Bild erst einen Referenzpunkt für Größe und Perspektive.

Und erneut ist das eine Erinnerung daran, dass es einem guten Foto am Ende egal ist, wie genau es entstanden ist. Ein gutes Foto spricht für sich.

 

Warum ist Fan Ho zum Vorbild vieler Streetfotografen geworden?

Meine Ausgangsfrage war aber eigentlich: Warum gilt Fan Ho als einer der alten Meister der Streetfotografie und dient so vielen anderen Fotografen als Vorbild?

Ich glaube, am Ende kann man das nicht an genau einem Punkt fest machen. Für mich ist es vor allem die Atmosphäre, die er mit vielen seiner Aufnahmen eingefangen hat. Er hat einen hervorragenden Blick für einfallendes Licht, mit dem er dann spannende Motive in Szene gesetzt hat.

Gleichzeitig hat seine Arbeit an vielen Stellen aber auch ein abstrakteres Element, bei dem es mehr auf Linien, Formen und Architektur ankommt.

Und wieder andere Aufnahmen sind abseits der “lauten” Stadt entstanden, inmitten einer ruhigeren Natur.

So ist am Ende für jeden etwas dabei und Fan Ho schafft es, mit seinen Fotos eine breite Masse an Menschen anzusprechen, weil sein Portfolio umfangreich genug ist, dass für jeden etwas dabei ist.

Das er gleichzeitig mit Hong Kong in den 50er Jahren eine große Metropolstadt im kulturellen Umbruch vor der Linse hatte, wird aber sicherlich auch ein nicht irrelevanter Vorteil gewesen sein. Schlichtweg, weil dadurch eine endlose Auswahl an Motiven für ihn verfügbar waren.

Diese Aspekte gemischt damit, dass Streetfotografie zur Hochzeit von Fan Ho noch deutlich unbekannter und mehr Nische war, sorgt dafür, dass es einfach wenig Konkurrenz zu seinen Fotos gab und er es geschafft hat, viele spätere Fotografen mit seiner Arbeit zu beeinflussen.

Wenn du jetzt Interesse an Fan Hos Arbeit hast - Hier findest du eine Auswahl seiner Fotobücher*. Aber als Warnung: Diese sind recht teuer und fast immer ausverkauft.

East meets West - 1963 - Fan Ho

 

 
Timo Nausch