Dein ultimativer Guide für 35mm Fotografie
Mit einem 35mm Objektiv zu fotografieren, ist ziemlich schwer. Daher will ich dir hier einen ultimativen Guide für die 35mm Brennweite bereitstellen.
Typische Probleme einer 35mm Brennweite
Jeder Streetfotograf schwärmt von einem 35mm und viele nennen genau diese Brennweite, wenn es darum geht, welches Objektiv man für den Rest seines Lebens behalten will.
Also war ich auch begeistert und habe mir zügig ein 35mm Objektiv zugelegt. Dann sind mir jedoch relativ schnell die typischen Probleme dieser Brennweite bewusst geworden:
35mm ist ein “Allround Weitwinkel”. In der Theorie klingt das super. Mehr drauf auf dem Bild, schön viel Umgebung, perfekt für Geschichten.
Das Dumme daran ist nur: Wenn du mehr drauf hast, hast du auch mehr Chaos im Bild. Plötzlich ist da ein Mülleimer, ein Straßenschild oder irgendein Fußgänger, der dir genau in die perfekte Szene latscht. Alles wirkt schnell unruhig. Du willst ein schönes, klares Motiv – aber die Welt da draußen hält sich einfach nicht an deine Vorstellung von Ordnung.Mit 50mm oder 85mm kannst du dann einfach die Blende aufreißen, schön unscharfen Hintergrund erzeugen, und zack – alles Ablenkende verschwindet in traumhaftem Bokeh. Aber mit 35mm? Vergiss es. Du bekommst nie diesen butterweichen Hintergrund, der alles versteckt.
Stattdessen siehst du alles. Jedes Detail, jede Laterne, jeden Baumstamm. Das ist brutal ehrlich – und für viele erstmal frustrierend.Wer sein Motiv formatfüllend aufnehmen will, der muss auch ziemlich nah ran. Und gerade bei Streetfotografie hatte ich da so meine Hemmungen.
Ich hab damals aufgegeben und bin zurück zu meinem 85mm gegangen. Damit fand ich das Fotografieren schlichtweg einfacher.
Aber irgendwann hab ich dem 35mm nochmal eine neue Chance geben wollen. Und beim zweiten Anlauf hat’s dann auch endlich Klick gemacht.
Ich hab verstanden, warum so viele von einer 35mm Brennweite schwärmen. Aber mir ist auch aufgefallen, dass ich deutlich mehr können muss, um mit so einem Objektiv hübsche Fotos aufzunehmen.
Und genau das ist aber auch das Schöne: Wenn du 35mm einmal verstanden hast, bekommst du Fotos, die ehrlich wirken. Und du kannst diese Fotos dann sogar zuverlässig aufnehmen.
Von daher: Wie genau bringt man ein 35mm am besten zu Einsatz?
Lösung #1 - Bändige das Chaos in deinem Bildausschnitt
35mm sind einfach gnadenlos ehrlich ist. Du siehst alles. Auch wie begabt der Fotograf hinter der Kamera is, das Chaos im Bildausschnitt zu bändigen.
Der erste Schritt: Entscheide dich für ein Motiv. Nicht zwei, nicht drei. Eines. Ich weiß das das am Anfang schwierig ist, weil man zum einen gar nicht so sehr auf seinen Hintergrund achtet, oder aber auch mehrere Dinge sieht, alles cool findet und in einem Bildausschnitt vereinen will.
Wenn aber zu viele Dinge im Bild um Aufmerksamkeit buhlen, gewinnt am Ende keiner.
Mach dein Hauptmotiv groß, sichtbar, eindeutig. Und da du mit einem Weitwinkel arbeitest, gibt es dafür zwei Wege: Du gehst näher ran – oder du schneidest später zu.
Wer nah rangeht, zeigt Mut. Aber klar, das ist leichter gesagt als getan. Gerade bei Menschen fühlst du dich schnell unwohl, vor allem wenn du dann noch deine Kamera hebst und das die Aufmerksamkeit auf dich lenkt.
Auch mir ging das am Anfang - und ehrlichwerweise auch heute noch - nicht anders, und das ist völlig okay.
Wer ausreichend Megapixel hat, der kann nämlich auch etwas mehr Abstand halten und sein Foto am Ende zuschneiden.
Manche sagen, Zuschneiden sei „Schummeln“. Ich finde das Quatsch. Wenn das Bild danach besser wirkt, wen interessiert’s? Niemand schaut ein gutes Foto an und denkt: „Moment mal, das wurde bestimmt zugeschnitten!“ Ein gutes Foto ist ein gutes Foto, Punkt. Aber im Zweifel kann an diesem Punkt jeder selbst entscheiden, ob und wie viel er seine Fotos zuschneiden will.
Aber auch mit anderen Wegen kann man sein Motiv herausstechen lassen.
Versuch, störende Elemente zu verstecken – sozusagen das Chaos zu bändigen.
Wir können zum Beispiel unscharfe Vordergrundelemente suchen, um etwas Hässliches dahinter zu verdecken. Ein Baum, ein Pfosten, eine Mauer – all das kann helfen, das Auge zu lenken. Denn damit “blockst” du Teile des Fotos und lässt automatisch mehr Raum für dein Hauptmotiv.
Aber Achtung: Das, womit du abdeckst, sollte selbst nicht zu spannend sein. Sonst hast du das nächste Problem – dein „Blocker“ stiehlt plötzlich deinem eigentlichen Motiv die Show. Idealerweise nutzt du für das Framing also einheitliche und relativ dunkle Flächen.
Alternativ kannst du auch unterstützende Elemente in dein Foto einbauen. Jeder hat z.B. schon einmal etwas von Führungslinien gehört.
Ein Geländer im Vordergrund kann unschöne Elemente im Foto also nicht nur verdecken, sondern auch den Blick des Betrachters zum Hauptmotiv hin führen.
Dadurch nehmen wir das Geländer vielleicht bewusster wahr, aber es fügt sich insgesamt trotzdem harmonisch in das Foto ein und wird dadurch genau eines dieser unterstützenden Elemente.
Diese Linien können aber in allen Möglichen Formen vorkommen und müssen noch nicht einmal extierende Linien sein. In welche Richtung eine Person schaut, kann z.B. genauso blickführend sein, wie eine tatsächliche Linie.
Schauen wir uns dafür einmal dieses Foto von Joel Meyerowitz an. Dir wird wahrscheinlich relativ schnell klar, was hier das Hauptmotiv ist. Unter anderem auch, weil fast alle anderen Elemente eher unterstützend zum Hauptinhalt des Fotos sind und den Blick immer wieder zum Hauptmotiv zurückführen - nicht zuletzt auch dadurch, dass die meisten Personen selbst dorthin schauen.
Lösung #2 - Habe eine Hirarchie im Bild
Wenn du mit 35mm fotografierst, ist dein Bild selten leer. Diese Brennweite nimmt einfach viel auf – Straßen, Menschen, Häuser, Laternen, alles will mit aufs Foto. Du kannst also kaum verhindern, dass neben deinem Hauptmotiv noch andere Dinge im Bild landen.
Und genau deshalb brauchst du eine klare visuelle Hierarchie.
Ein gutes 35mm Foto ist wie ein Zeitungsartikel: Es hat eine große Überschrift und kleinere Absätze darunter.
Niemand liest zuerst den Fließtext. Dein Blick geht automatisch zum größten, auffälligsten Teil – und genauso funktioniert es in der Fotografie.
Das, was am meisten Raum einnimmt, wirkt für unser Gehirn automatisch wichtiger. Eine Person im Vordergrund wird immer stärker wahrgenommen als jemand weiter hinten, einfach weil sie größer erscheint.
Zusätzlich ist alles, das im Zentrum des Fotos positioniert ist, automatisch wichtiger, als Objekte am Bildrand. Da wir in unserem Leben bereits tausende Fotos gesehen haben, wissen wir inzwischen instinktiv, dass die wichtigsten Objekte in der Regel im Bildzentrum zu finden sind. Indem wir unser Motiv also groß und zentrumsnahe positionieren, helfen wir dem Betrachter dabei, wichtiges von unwichtigem zu unterscheiden.
Größe und Position sind aber nur ein Teil der Geschichte. Der zweite Trick, um Hierarchie zu schaffen, ist Kontrast.
Unser Auge liebt Unterschiede. Der Blick wird immer dorthin gezogen, wo der stärkste Kontrast liegt – also der größte Unterschied zwischen hell und dunkel oder zwischen zwei Farben.
Helligkeitskontrast ist der Klassiker:
Ein hell beleuchtetes Gesicht vor einem dunklen Hintergrund zieht sofort den Blick an.
Genauso funktioniert es umgekehrt – eine dunkle Silhouette vor einem hellen Himmel sticht sofort heraus.
In beiden Fällen entsteht ein klarer Schwerpunkt, und dein Hauptmotiv bekommt automatisch mehr Gewicht.
Dann gibt’s noch den Farbkontrast. Diesen kann man am einfachsten über den Farbkreis verdeutlichen.
Rot und Grün zum Beispiel liegen sich auf dem Farbkreis direkt gegenüber – sie „beißen“ sich ein bisschen, und genau das macht sie spannend.
Stell dir jemanden mit roter Jacke in einem grünen Park vor. Du kannst gar nicht anders, als zuerst auf die Jacke zu schauen.
Und genau das willst du: Das Auge soll wissen, wo es hinschauen soll.
Die letzte Möglichkeit für diese Hirarchie ist Schärfe. Je Schärfer etwas ist, desto wichtiger wird es von unserem Gehirn wahrgenommen und desto eher bleiben unsere Augen daran hängen.
Wir haben aber bereits festgestellt, dass wir den Hintergrund mit einer 35mm Brennweite sogar mit Blende 1.8 oder 1.4 nicht super unscharf bekommen.
Genau an diesem Punkt können wir uns aber einem anderen Trick bedienen: Bewegungsunschärfe.
Wenn wir eine Technik nutzen, die als “Mitzieher” bekannt ist. Dafür brauche wir ein Motiv, das sich bewegt und seitlich an uns vorbei läuft (also nicht gerade auf die Kamera zu oder davon weg).
Für einen Mitzieher stellen wir dann eine längere Belichtung ein, z.B. 0,5 Sekunden und verfolgen das Motiv. Wir ziehen die Kamera mit, woher der Name dieser Technik stammt.
Im Ergebnis sollte dein Motiv einigermaßen scharf erscheinen, der Hintergrund jedoch in Bewegungsunschärfe versinken. Und auch das macht unser Hauptmotiv dann wieder um einiges deutlicher und lässt es aus für den Betrachter des Fotos herausstechen.
Das Schöne daran ist, dass du mit diesen kleinen Tricks Ordnung ins Chaos bringst. Du steuerst den Blick des Betrachters, ohne dass er es merkt.
Er sieht das ganze Bild – aber spürt, was wichtig ist.
Lösung #3 - Nutze Licht anstelle von Bokeh
Statt also zu hoffen, dass Unschärfe und Bokeh das Foto rettet, kannst du etwas viel Mächtigeres nutzen: Licht.
Gutes Licht wird dein Foto komplett verändern. Wer zwei vergleichbare Szenen hat, der wird instinktiv diejenige mit dem besseren Licht auch als das bessere Foto wahrnehmen.
Wie genau definiert sich jetzt aber “gutes Licht”?
Es fällt nicht einfach von überall gleichmäßig auf dein Motiv, sondern kommt gezielt aus einer bestimmten Richtung.
Es entstehen durch dieses Licht Kontraste, Schatten, Tiefe – alles Dinge, die ein Foto spannend machen.
Wenn du dein Motiv also in direktes, gerichtetes Licht stellst, wird es sich automatisch vom Hintergrund abheben.
Wenn du lernst, Licht zu „lesen“, wirst du bald merken, wie sehr es dein Foto verändern kann:
Ein Gesicht, das von der Seite beleuchtet wird, wirkt plastisch und lebendig.
Kommt das Licht von hinten, entsteht ein zauberhaftes Halo um dein Motiv – eine Technik, die auch in vielen der bekanntesten Kinofilmen zum Einsatz kommt.
Wenn du dein Motiv bewusst in Licht stellst, während der Hintergrund im Schatten liegt, entsteht automatisch Kontrast. Zack, dein Foto hat Tiefe.
Das Schöne an Licht ist: Es kann auch das verstecken, was du gar nicht zeigen willst. Hast du ein helles Motiv vor einem dunkleren Hintergrund, kannst du diesen Kontrast nutzen und den Hintergrund komplett in Dunkelheit verschwinden lassen. So “entfernst” du unruhige Bildelement, ganz ohne Photoshop.
Lösung #4 - Wie traut man sich näher an ein Motiv ran?
Näher an sein Motiv heranzugehen – das klingt erstmal simpel, ist aber in Wirklichkeit eine der größten Hürden in der 35mm-Fotografie. Besonders, wenn Menschen im Spiel sind.
Denn da ist plötzlich nicht nur die Kamera im Weg, sondern auch ein ganzes Paket aus Scham, Unsicherheit und dem Gedanken: „Was, wenn die Person das doof findet?“
Aber genau das ist der Punkt, an dem du wachsen kannst – als Fotograf und als Beobachter der Welt. Denn jedes Mal, wenn du dich traust, ein Stück näher heran zu gehen, löst du viele der anderen Probleme eines 35mm Objektives.
Dein Motiv wird größer, der Hintergrund verschwimmt leicht, und der Inhalt deines Fotos wird klarer. Es ist, als würdest du das Wesentliche aus der Welt herausschneiden und sagen: Das hier ist wichtig.
Das Problem ist: Unser Kopf macht uns oft einen Strich durch die Rechnung. Vor allem in Europa, wo Menschen manchmal skeptisch reagieren, wenn jemand eine Kamera zückt.
In anderen Teilen der Welt ist das oft entspannter. In asiatischen Städten zum Beispiel sind Touristen mit Kameras ganz normal und gern gesehen. Oder in den Großstädten der USA, wo alles so schnell passiert, dass kaum jemand überhaupt merkt, dass du fotografierst. Aber wir sind nun mal hier – also müssen wir lernen, in unserer Umgebung klarzukommen.
Mir hat geholfen, einfach unauffälliger zu werden. Keine knallroten Jacken, kein Outfit, das schreit „Ich bin hier, um dich zu fotografieren!“ Lieber gedeckte Farben, die mit der Umgebung verschmelzen. So wirst du Teil der Szene, statt von außen hineinzustarren.
Und wenn du dann noch lernst, aus der Hüfte zu fotografieren, dann wirst du fast unsichtbar. Am Anfang ist das ungewohnt. Du kannst logischerweise nicht durch den Sucher schauen und weißt nicht genau, ob das Bild sitzt.
Aber mit etwas Übung bekommst du ein Gefühl dafür, wie dein Ausschnitt wirkt, wo das Licht herkommt und wann der Moment richtig ist.
Das hat mir nicht nur geholfen, mich wohler zu fühlen, sondern auch ehrliche Momente einzufangen. Menschen reagieren einfach anders, wenn sie wissen, dass sie fotografiert werden.
Sobald eine Kamera sichtbar ist, verändern sie ihre Haltung, ihren Gesichtsausdruck – und die Natürlichkeit geht verloren. Wenn du aber unauffällig bist, bekommst du diese echten, ungefilterten Szenen. Und für mich ist Streetfotografie vor allem, diese ungefilterten Szenen aufzunehmen.
Wichtig ist nur: Mach Fotos aus einem Grund. Nicht einfach blind draufhalten, weil „Streetfotografie halt Menschen braucht“.
Wenn du jemanden fotografierst, dann weil dich etwas an der Person fasziniert – vielleicht ihr Stil, ihre Bewegung, ihr Ausdruck.
Und falls du doch mal angesprochen wirst (was selten passiert), kannst du ehrlich sagen, was dich an diesem Moment interessiert hat. Das schafft Verständnis. Du bist dann nicht einfach der “Creep der fremde Menschen fotografiert”.
Wenn du das über die Zeit machst, wirst du immer selbstsicherer und es fällt dir immer einfacher, näher an dein Motiv heran zu gehen.
Genau diese Nähe wird deine 35mm Fotos dann in windeseile auf ein neues Level heben.
Und wer noch auf der Suche nach einem passenden 35mm für Sony ist, kann sich meinen großen Vergleich der verschiedenen Linsen anschauen.