Warum gilt Joel Meyerowitz als einer der besten Streetfotografen?

 

Joel Meyerowitz gilt als einer der besten Streetfotografen, der das Genre mit geprägt hat. In 2017 wurde er sogar in die Leica Hall of Fame aufgenommen und als ein “Magier der Farben” bezeichnet. Aber wer genau ist Meyerowitz eigentlich, wo kommt er her und wie ist er zu dem Fotografen geworden, den wir heute wahrnehmen?

 

Wer genau ist Joel Meyerowitz? - Ein erster Überblick

Herkunft

  • Nationalität: US-amerikanisch

  • Herkunftsort: Joel Meyerowitz wurde 1938 in der Bronx, New York City, geboren. Er studierte Malerei und medizinische Illustration an der Ohio State University und schloss dort 1959 mit einem Abschluss ab. Danach arbeitete er zunächst als Art Director in einer Werbeagentur, bevor er 1962 nach der Begegnung mit Robert Frank seine Karriere abrupt wechselte und Fotograf wurde.

  • Aktuell (2025): Meyerowitz lebt bis heute und ist weiterhin aktiv als Fotograf, Autor und Lehrer.


Frühe fotografische Entwicklung

Meyerowitz kam also nicht als „klassischer Fotograf“ zur Street Photography, sondern eher als Quereinsteiger. Sein ursprüngliches Fundament lag in der Malerei, was seinen Blick für Farbe, Komposition und Licht schon früh geprägt hat.

Inspiriert von Robert Franks Buch The Americans sowie von den Werken Garry Winogrands und Eugène Atgets zog es ihn ab 1962 selbst auf die Straßen von New York.

Den Auslöser für diesen Schritt beschreibt er oft so: Nachdem er Robert Frank persönlich beim Fotografieren beobachtet hatte, kündigte er am selben Tag seinen Job in der Werbung und kaufte sich eine 35mm-Kamera. Damit begann er zunächst in Schwarz-Weiß, wechselte aber schon sehr früh auch in die Farbe – ein Medium, das damals von vielen noch nicht als ernsthafte Kunstform akzeptiert war.

1966, nur vier Jahre nach seinen ersten fotografischen Gehversuchen, brach Meyerowitz zu einem prägenden Europa-Trip auf. Er bereiste unter anderem Spanien, Frankreich und England, fotografierte dort intensiv das Straßenleben und testete sich stilistisch aus.

Ich hatte die Möglichkeit eine Ausstellung hierzu in Madrid zu besuchen. Was mir aufgefallen ist: Viele der Arbeiten aus dieser Phase wirken aus heutiger Sicht sehr durchwachsen. Während einzelne Aufnahmen schon das große Talent und Gespür für Farb- und Raumschichtung erkennen lassen, sind andere Bilder aus meiner Sicht vergleichsweise unspektakulär.

Genau das macht diesen Abschnitt jedoch spannend – denn es war die Entwicklungsphase eines jungen Fotografen im Alter von 28 Jahren, der erst vier Jahre Erfahrung in der Street Photography hatte.

Joel Meyerowitz, Europa

Bei genauerem Hinsehen lassen sich in den besten Bildern dieses Europa-Trips bereits Kernelemente seiner späteren Meisterschaft entdecken: das Spiel mit parallelen Ebenen im Bild, die Beobachtung gleichzeitiger Ereignisse in einem Frame und der Mut, Farbe nicht als Beiwerk, sondern als zentrale Ausdrucksform einzusetzen. Rückblickend wird klar, dass Meyerowitz hier schon erste Bausteine für sein späteres Lebenswerk legte.

Meyerowitz sagt rückblickend selbst, wie wichtig diese Reise für ihn war:
“I know that the experience of making photographs in Europe changed me and gave me the perspective I needed to see myself, and then, when I returned home, to see America in a different way.”

Auch wenn nicht jede Aufnahme ikonisch wirkt, so vermitteln die Europa-Fotos dennoch eine Art „Werkstattblick“ – man sieht einem jungen Fotografen dabei zu, wie er mit seiner Kamera die Sprache sucht, die ihn später zu einem der wichtigsten Vertreter der Farbstreetfotografie machen sollte.

Joel Meyerowitz, Europa

 

Warum Leica Meyrowitz einen "Magier der Farbe" nennt

Als Joel Meyerowitz 2017 in die Leica Hall of Fame aufgenommen und als „Magier der Farben“ geehrt wurde, würdigte Leica damit nicht nur sein Lebenswerk, sondern vor allem seine einzigartige Art, Farbe in der Fotografie einzusetzen.

Während viele seiner Zeitgenossen in den 1960er-Jahren noch strikt in Schwarz-Weiß arbeiteten, sah Meyerowitz im Farbfilm eine neue erzählerische Dimension. Schon früh begann er, mit Kleinbild in Farbe zu fotografieren, weil er spürte, dass Farben nicht nur die Welt realistischer abbilden, sondern auch Emotionen, Atmosphäre und Zeitgeist transportieren können.

Meyerowitz selbst formulierte diesen Ansatz so:

„If we accept the idea that a photograph basically just describes things, then a color photograph describes more things. There is more content in color and I wanted to see what those kinds of photographs might look like.“

Genau dieser Gedanke wurde zum Fundament seiner Arbeit. Farbe war für ihn nicht bloß eine ästhetische Entscheidung, sondern eine Möglichkeit, die Gleichzeitigkeit des Lebens sichtbar zu machen.

Joel Meyerowitz

Anstatt den einen, entscheidenden Augenblick herauszuschälen – wie es die Schwarz-Weiß-Tradition à la Cartier-Bresson nahelegte –, wollte Meyerowitz mit Farbe ein „Feld“ schaffen: Bilder, in denen alles gleichermaßen Bedeutung trägt – Menschen, Architektur, Licht, Schatten, sogar die kleinsten Nebenszenen.

Er nannte das selbst seine „field photographs“: Fotografien, die weniger ein Ereignis festhalten als vielmehr das Gefühl, zu einem bestimmten Zeitpunkt an einem bestimmten Ort gewesen zu sein.

Joel Meyerowitz

Joel Meyerowitz

Diese Sichtweise führte ihn in den 1970er-Jahren zu einem radikalen Schritt: weg von der schnellen 35mm-Kamera hin zur großformatigen 8x10-Kamera. Mit ihr konnte er die Tiefe, die Leuchtkraft und die subtilen Nuancen von Licht und Farbe so festhalten, wie es zuvor kaum jemand getan hatte. Dieser Wandel verlangsamte nicht nur seine Fotografie, sondern veränderte auch sein Verhältnis zur Zeit und zu den Menschen, die er porträtierte.

Leica würdigte diesen Mut zur Farbe, seine „unverwechselbare Handschrift“ und sein Gespür, den Zauber des Alltags in Kompositionen zu verwandeln, die scheinbar mühelos zwischen Spontaneität und Perfektion balancieren.

So wurde aus dem jungen Fotografen, der einst durch Robert Frank zur Kamera fand, einer der wichtigsten Protagonisten der Farbfotografie – und schließlich ein „Magier der Farben“, dessen Werk Generationen von Bildschaffenden inspiriert.

Joel Meyerowitz

 

Meyerowitz Sichtweise zur Weiterentwicklung als Fotograf

Ein zentraler Gedanke von Joel Meyerowitz ist, dass ein Fotograf nie stehen bleiben darf. Für ihn bedeutet Entwicklung, den Mut zu haben, Gewohntes loszulassen – auch dann, wenn es gerade besonders gut funktioniert. Oder, wie er es selbst ausdrückt:

„You have to let go of something. And usually it’s the thing that you’re doing well at that moment. It’s a courageous step into the unknown.“

Damit meint Meyerowitz, dass man als Fotograf schnell in eine Routine geraten kann. Man wird besser und besser darin, genau die Art von Bildern zu machen, die einem leichtfallen und Anerkennung bringen. Doch irgendwann stellt sich die Frage: Will man auf diesem Level einfach weitermachen – oder wagt man den Schritt ins Ungewisse, um Neues zu entdecken? Für Meyerowitz war klar: Wer wachsen will, muss Risiken eingehen.

Joel Meyerowitz

Das zeigt sich auch in seiner eigenen Laufbahn. Schon früh arbeitete er gleichzeitig mit zwei Kameras – einer für Schwarz-Weiß, einer für Farbe –, um die Unterschiede und Möglichkeiten beider Welten zu verstehen.

Später wechselte er konsequent auf die großformatige 8x10-Kamera, weil er die „beschreibende Kraft“ suchte, die Tiefe, Raum und Licht noch deutlicher hervorheben konnte.

Dieser Schritt veränderte seine Fotografie komplett: Plötzlich war er nicht mehr unsichtbar auf der Straße, sondern stand mit einem meterhohen Holzkasten im Blickfeld der Menschen. Statt flüchtiger Schnappschüsse musste er nun Beziehungen aufbauen, Vertrauen schaffen und Geduld entwickeln.

Meyerowitz beschreibt diesen Prozess als eine Art „Umlernen“. Während er zuvor in Sekundenbruchteilen reagieren musste, verlangte das neue Arbeiten eine bewusste Interaktion. Er sprach mit den Menschen, hörte zu und suchte nach dem „nackten Kern“ einer Persönlichkeit, nicht nach oberflächlichen Posen.

Für ihn war klar: Ein starkes Porträt entsteht nur, wenn der Fotograf den Menschen wirklich liest – ihre Verletzlichkeit, ihre Stärke, ihre Eigenheiten.

Sich immer wieder neu zu erfinden, sieht Meyerowitz als Pflicht sich selbst gegenüber: „Alles, was man bisher gelernt hat, steckt in einem und bereitet einen auf diesen Schritt vor. Also warum nicht mutig sein?“

Genau diese Haltung – das ständige Weitergehen, die Bereitschaft, Routinen aufzugeben und in unbekanntes Terrain vorzustoßen – macht seine Entwicklung so spannend. Sie erklärt auch, warum sein Werk so vielfältig und gleichzeitig so prägend für Generationen von Fotografen wurde.

 

 
Timo Nausch