Wie Perfektionismus deine Fotografie ruiniert

 

Als Fotografen wollen wir immer “das perfekte Foto” aufnehmen. Je länger ich fotografiere, desto eher glaube ich aber, dass dieser Drang zum Perfektionismus deine Fotografie ruiniert.

 

Was genau ist ein “perfektes Foto” überhaupt?

Was ist eigentlich ein perfektes Foto? Denk mal kurz drüber nach – aber nicht zu lange, sonst bist du schon mittendrin im Problem.

Denn genau das ist der Trick: Perfektion ist diese schillernde Seifenblase, die du jagst, nur um festzustellen, dass sie beim kleinsten Versuch, sie zu greifen, zerplatzt.

Du hast sicher schon mal ein Foto gemacht und dir gedacht: „Nee, das geht besser. Der Himmel war zu grau. Der Fokus saß nicht. Ich hätte das anders bearbeiten sollen.“ Und zack – landet das Bild auf der Festplatte und vergammelt da wie altes Gemüse. Warum? Weil du auf das perfekte Bild wartest.

Perfektion ist aber ein richtig schlechter Lehrer. Sie gibt dir keine klare Anleitung, sondern nur ein diffuses Gefühl von „Nicht gut genug“. Was soll das überhaupt sein – ein perfektes Foto?

Eins, das alle mögen? Eins, das technisch makellos ist? Eins, das du in fünf Jahren noch cool findest? Viel Spaß beim Warten.

Es gab ein inzwischen sehr bekanntest und bereits häufig besprochenes Experiment: Eine Klasse wurde in zwei Gruppen aufgeteilt. Die eine sollte das ganze Semester lang ein perfektes Foto machen. Die andere Gruppe sollte einfach jede Woche eins abgeben.

Und rate mal, welche Gruppe am Ende bessere Bilder gemacht hat? Genau – die, die einfach gemacht hat. Woche für Woche. Kein Drama, keine große Philosophie. Einfach ausprobieren, verkacken, besser machen.

Denn wer Ewigkeiten darauf wartet das perfekte Foto zu machen, der erzeugt automatisch ein riesigen Haufen Stolpersteine: “Wie genau sieht das perfekte Foto aus”; “Wann ist der beste Zeitpunkt das Foto überhaupt zu versuchen?”; “Was genau muss ich für das perfekte Foto tun?”

All diese Fragen sind so kompliziert, dass du sie nicht einfach beantworten kannst und gleichzeitig aufgrund einer ungewissen Deadline auch recht unbesorgt prokrastinieren kannst.

Die Wahrheit ist: Jedes Bild, das du machst, bringt dich weiter. Jedes. Selbst die, die du am liebsten sofort löschen willst. Weil du daran wächst, weil du lernst, weil du Dinge ausprobierst. Perfektion bremst dich nur aus. Sie tut so, als wäre sie dein Anspruch – aber in Wirklichkeit ist sie nur ’ne faule Ausrede, um nichts zu riskieren.

 

Gibt es objektiv “perfekte Fotos”?

Es klingt verlockend, oder? Die Vorstellung, dass irgendwo da draußen dieses eine perfekte Foto existiert. Eins, das jeder liebt, das technisch makellos ist, emotional berührt und im besten Fall auch noch viral geht. Aber wenn du ehrlich bist: Gibt’s das wirklich?

Die kurze Antwort? Nein. Objektiv perfekte Fotos gibt es nicht.

Denn was für dich ein Meisterwerk ist, ist für jemand anderen vielleicht total langweilig. Du findest ein Bild clean, stark, ruhig – jemand anderes nennt es steif und leblos. Und genau da liegt das Problem mit der Idee von Perfektion: Sie tut so, als gäbe es eine feste Regel, ein allgemein gültiges „So muss ein gutes Foto aussehen“. Aber Fotografie funktioniert nicht wie Mathe. Hier gibt’s keine immer korrekte Lösung mit Haken dran.

Nimm mal zwei Leute, die denselben Raum fotografieren. Der eine stellt sich in die Ecke und will Tiefe erzeugen, mit schrägen Linien und dramatischer Perspektive. Der andere stellt sich genau frontal vor die Wand, weil er’s lieber aufgeräumt und minimalistisch mag. Wer von beiden macht es richtig? Keiner. Oder beide. Kommt drauf an, wen du fragst.

Und genau das zeigt, wie subjektiv das alles ist. Ein anderes Beispiel finden wir in der Streetfotografie, wenn wir uns ein Foto von Fan Ho mit dem Namen “Approaching Shadow” anschauen.

Approaching Shadow - Fan Ho

Für viele soll Streetfotografie ungestellt und authentisch sein. Jetzt hat Fan Ho für dieses Foto - das übrigens mehrere Preise und Awards gewonnen hat - seine Cousine posieren lassen. Für manche Fotografen ist das kein Problem, für andere zerstört dieses Wissen die komplette Bildwirkung. Welche dieser beiden Seiten hat am Ende recht?

Du kannst mit den Regeln spielen, sie brechen oder ignorieren – und trotzdem kann das Foto am Ende stark sein. Oder eben nicht. Es hängt davon ab, wer es anschaut.

Perfektion ist also keine feste Größe. Sie ist ein bewegliches Ziel, das sich dauernd verändert – je nach Geschmack, Zeitgeist, Laune und vor allem dem Betrachter.

Und mal ehrlich: Wenn jedes Foto „perfekt“ wäre, wären sie alle gleich. Sauber. Berechenbar. Langweilig. Wer will das schon?

Du darfst dich also entspannen. Du musst nicht das perfekte Bild schießen. Du darfst ausprobieren, experimentieren, auch mal danebenliegen. Denn gerade das Unperfekte ist oft das, was hängen bleibt.

 

Ein besserer Ansatz für deine Fotografie

Wenn du jetzt denkst: „Okay, ich hab’s kapiert. Perfektion ist Quatsch. Aber was soll ich stattdessen tun?“ – gute Frage. Und die Antwort ist einfacher, als du vielleicht denkst: Du fängst einfach an. Ohne großes Ziel. Ohne den Anspruch, dass das Foto weltbewegend sein muss. Ohne die Stimme im Kopf, die sagt: „Das ist nicht gut genug.“

Ein besserer Ansatz für deine Fotografie ist: Mach einfach. Klingt stumpf, wirkt aber. Nimm dir ein Beispiel an den Studenten, die jede Woche ein neues Foto gemacht haben – ganz egal, ob es perfekt war oder nicht. Am Ende waren genau diese Leute die, die am meisten gelernt haben. Und die besseren Bilder gemacht haben. Nicht, weil sie mehr Talent hatten, sondern weil sie einfach öfter losgezogen sind.

Wenn du merkst, dass dein Kopf wieder mit Ausreden um die Ecke kommt („Nicht das richtige Licht“, „Ich bin nicht inspiriert“, „Ich brauch erst ein besseres Objektiv“), sag dir einfach: „Mach einfach.“ Kein großes Drama. Kein langes Nachdenken. Einfach loslegen.

Wenn dir das zu vage ist, dann hilft dir vielleicht der Trick mit der kleinsten möglichen Aktion. Also: Was ist der allerkleinste Schritt, den du jetzt tun kannst, um in Bewegung zu kommen? Kamera in die Hand nehmen? Ein Bild aus dem Archiv öffnen? Fünf Minuten spazieren gehen mit der Kamera in der Tasche? Zack, Aktion gestartet. Und wenn du einmal angefangen hast, läuft’s teilweise ganz von allein weiter.

Aber – und das ist wichtig – übertreib’s nicht. Klar, dranbleiben ist gut. Aber wenn du dich jeden Tag zwingst, Fotos zu machen, obwohl du eigentlich komplett durch bist, dann fühlt sich das Ganze schnell wie Hausaufgaben an. Das habe ich z.B. in meiner Challenge mit “30 Tage, 30 Fotorunden” gemerkt. Das es sich irgendwann wie Arbeit angefühlt hat. Und Fotografie soll dir doch Spaß machen, oder?

Deshalb: Wenn du mal null Bock hast – kein Problem. Dann mach eben nix. Atme durch. Sammle neue Ideen. Hauptsache, du kommst irgendwann wieder ins Tun, bevor aus einem Tag Pause ein ganzer Monat wird.

Du musst nicht perfekt sein. Du musst nicht jeden Tag liefern. Du musst einfach nur öfter machen als zweifeln. Und dann wächst du automatisch. Nicht auf Knopfdruck – aber Schritt für Schritt. Und das reicht völlig.

 

 
Timo Nausch